2/3 Der hohe Preis der Billigmode - und wer ihn bezahlt
Teil 2: Zu wenig Lohn zum Leben
In Empfehlungen und Übereinkommen verlangt die internationale Arbeitsorganisation, dass gesetzliche Mindestlöhne definiert und regelmässig überprüft werden. Tatsache ist aber leider, dass in sehr vielen Ländern die gesetzlichen Mindestlöhne nicht existenzsichernd sind und es den Arbeitnehmenden damit nicht möglich ist, die Grundbedürfnisse ihrer Familien abzudecken (wie beispielsweise Miete, Essen, Kleidung, Ausbildung oder Gesundheitskosten). Das führt dazu, dass oft mehrere Familienmitglieder Vollzeit und Überstunden arbeiten und die Familie trotzdem kaum über die Runden kommt.
Kostendruck der Konzerne im Westen sorgt dafür, dass Arbeitnehmende 60 und mehr Stunden pro Woche für einen Lohn schuften, der es ihnen nicht einmal ermöglicht, ihre Familien zu ernähren.
Arbeitgeber und Regierungen argumentieren, dass eine Erhöhung des Mindestlohnes nicht möglich sei, da sich dies direkt auf die Produktionskosten auswirke. Die Auftraggeber,– die Modekonzerne aus dem Westen –, die sich an tiefe Kosten gewöhnt haben, würden dann abwandern und sich nach günstigeren Produktionsstandorten umsehen.
Die Fair Wear Foundation führt regelmässige Audits in Textilbetrieben durch und veröffentlicht auch Berichte zu den Ergebnissen. In Bangladesch wurden zwischen 2012 und 2015 gemäss Bericht in keinem der geprüften Betriebe existenzsichernde Löhne ausbezahlt. In nicht wenigen Fällen lagen die Löhne sogar unter den gesetzlichen Mindestlöhnen. Der damalige Mindestlohn in Bangladesch lag unter der Armutsgrenze der Weltbank. Er wurde zwar 2018 von 63 US$ auf 95 US$ erhöht, aufgrund der Inflation hat sich die Lage für die Arbeiter:innen aber faktisch kaum verändert. Die Global Living Wage Coalition hat ausgerechnet, dass der existenzsichernde Lohn in Bangladesch umgerechnet 214 US$ beträgt (Zahlen von 2016).
Übrigens liegen in diversen Ländern – auch in Europa – die Mindestlöhne unter dem Existenzminimum. In Bulgarien, beispielsweise, beträgt der Mindestlohn gerade Mal 20% des Existenzlohnes. Aber die Lohnuntergrenzen werden in kaum einer Branche so konsequent und grossflächig ausgereizt wie in der Textilbranche.
Ein schwankendes Auftragsvolumen trägt zusätzlich zu diesen Problemen bei. Da viele Fabriken am Kostenminimum arbeiten, muss darauf geachtet werden, dass die Arbeitenden jederzeit ausgelastet sind. Bei grossen Volumen müssen daher Aufträge an Subunternehmer weitergegeben werden – oft zu noch tieferen Kosten und noch kürzeren Lieferfristen. Diese Subunternehmer haben keine Beziehung zum Auftraggeber im Westen, oft ist den auftraggebenden Konzernen gar nicht bekannt, dass Aufträge ausgelagert werden und erst recht nicht, an wen. Sie können somit durchs Netz der Prüfungen fallen. Die höheren Risiken, die solche Subunternehmen durch schwankende Auftragsvolumen haben, geben sie an ihre Arbeitnehmenden weiter. Diese werden schlechter bezahlt, haben schlechtere Sicherheitsbedingungen bei der Arbeit und wenn es keine Arbeit gibt, haben sie keinen Lohn. Wenn es aber Arbeit gibt, muss diese innert kürzester Zeit erledigt werden, oft, ohne dass sich die Mehrarbeit positiv auf die Bezahlung auswirkt.
Durch diese Vergabe von Unteraufträgen kann es dazu kommen, dass Unternehmen, die durch Audits gefallen sind und als Partner für westliche Konzerne nicht mehr in Frage kommen, via Subcontracting wieder unerkannt für dieselben Konzerne weiterarbeiten.
Die Sicherheit der Arbeitnehmenden ist ein Kostenfaktur, der ebenfalls tief gehalten wird. In Bangladesch hat sich die Gebäudesicherheit nach diversen Audits nach der Rana-Plaza-Katastrophe zwar massiv verbessert. In anderen Ländern ist man aber noch nicht so weit. Dazu kommen weitere Gefahren wie Chemikalien, Lärmbelastung, physischer Druck.
Bei Bränden in Textilfabriken, beispielsweise den besonders verheerenden Fällen Ali Enterprises in Pakistan 2012 oder Tazreen Fashions in Bangladesch 2012, wurden die Arbeiter:innen durch verschlossene Notausgänge und Gitter vor den Fenstern an der Flucht gehindert. In Pakistan geschah dies sogar, obwohl die Textilfirma wenige Wochen zuvor von einem Auditor das Label SA8000 zugeschrieben erhielt. Daraufhin entzog die Social Accountability International (SAI) – Herausgeberin des Standards – dem Auditor die Lizenz und suspendierte die durch dieses Unternehmen ausgestellten Zertifikate.
Nach einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Clean Clothes Campaign starben zwischen 2006 und 2012 rund 700 Menschen bei Bränden in Textilfabriken. Dazu kommen die über tausend Opfer der Rana-Plaza-Katastrophe. Neben der teilweise mangelnden Gebäudesicherheit sind die Arbeiter:innen bei ihren Tätigkeiten aber oft zahlreichen weiteren Risiken ausgesetzt.
In Spinnereien stellen beispielsweise die ständig hohe Lärmbelastung sowie die Staubbelastung ein gesundheitliches Risiko dar. In Färbereien, Ledergerbereien oder Betrieben, die Chemiefasern herstellen, sind es die giftigen Dämpfe der Chemikalien, die zum Verarbeiten oder Einfärben der Textilien genützt werden. In den Nähereien sitzen die Näher:innen oft stundenlang ohne Pausen in derselben Position, was zu Schmerzen führt. Zudem führen sie den ganzen Tag dieselbe Bewegung aus. Eine maximale Aufsplittung der Arbeitsschritte führt dazu, dass an jedem Arbeitsplatz immer dieselbe Naht genäht und die Kleidung dann weitergereicht wird. So arbeitet man den ganzen Tag einen Berg ab, der nie kleiner wird. Das generiert auch physischen Druck, denn wenn jemand langsamer arbeitet als der Rest, kann diese Person die ganze Produktionskette aufhalten.
Unabhängig von der Art der Betriebe führen Übermüdung durch zu wenige Pausen, Dehydrierung und Unterernährung zu einem erhöhten Risiko für Berufsunfälle. Wenn es zu Unfällen oder Krankheiten kommt, haben die Angestellten zudem meist keinen Versicherungsschutz.
Hier geht es weiter mit Teil 3: Vorreiter der Globalisierung mit all ihren Schattenseiten und hier geht es zu Teil 1: Kinderarbeit und moderne Sklaverei
Quellen und weiterführende Informationen:
- Bangladesh Country Study 2015
- Existenzlöhne in der globalen Modebranche
- Mindestlohnerhöhung in Bangladesch (Fashionnetwork)
- Repression protestierender Arbeiter*innen in Bangladesch (Clean Clothes Campaign)
- Bangladesch bekommt strengeres Arbeitsrecht (Fashionnetwork)
- FAQs zu Sweatshops (greenamerica.org)
- Firmenchefs sollen Notausgänge verschlossen haben (Bericht FAZ)
- Galileo-Beitrag Über Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie (Video)