3/3 Der hohe Preis der Billigmode - und wer ihn bezahlt
Teil 3: Vorreiter der Globalisierung mit all ihren Schattenseiten
Die Textilindustrie ist ein Vorreiter der Globalisierung. Schon sehr früh wurden die einzelnen Fertigungsschritte unterteilt und befinden sich oft an unterschiedlichen Standorten und in verschiedenen Produktionsbetrieben. Über den Globus verteilt reist das Rohmaterial durch verschiedene Fabriken, wo Garne gesponnen, Stoffe aus den Garnen gestrickt, Textilien eingefärbt, Stoffe zugeschnitten und Textilien zusammengenäht werden.
Diese Aufsplittung der Arbeitsschritte führt zu einem komplexen Netzwerk von Lieferanten und Sublieferanten, das für die Auftraggeber schwierig zu kontrollieren ist. H&M listet beispielsweise 785 direkte Zulieferbetriebe und 1013 Sublieferanten aufs (Zahlen der Clean Clothes Campaign, April 2020). Da kann man schon mal den Überblick verlieren. Andere Konzerne sind weniger transparent und machen dazu keine Angaben.
Getrieben durch den internationalen Wettbewerb, immer schneller und immer günstiger neue Kollektionen auf den Markt zu bringen, sind die Unternehmen auf der ständigen Suche nach Kostenoptimierungen. Zudem sorgen die tiefen Kosten für hohe Margen und damit Dividenden für die Geldgeber der Konzerne. Dies führt dazu, dass sich Konzerne immer wieder nach günstigeren Produktionsmöglichkeiten umsehen.
Die Fabrikbesitzer und -verantwortlichen wissen, dass sie grosse Konkurrenz haben und austauschbar sind. Nicht nur im eigenen Land, sondern überall auf der Welt, wo es günstige Arbeitskräfte gibt. Das schwächt ihre Verhandlungsposition gegenüber den Auftraggebern. Die Forderungen der grossen Konzerne nach kurzen Lieferzeiten und Mengenrabatten werden oft akzeptiert – aus Angst, einen verlässlichen Auftraggeber langfristig zu verlieren.
Wenn ein Betrieb die Löhne auf einen Existenzlohn erhöhen würde, hätte das auf den Preis eines Kleidungsstückes zwar nur einen marginalen Einfluss. Trotzdem wäre der Betrieb im Verhältnis teurer als die Konkurrenz im eigenen Land und auch im Verhältnis zu anderen Märkten, wodurch die Abwanderung der Auftraggeber zu günstigeren Betrieben wohl nicht zu Unrecht befürchtet wird. Dies treibt die Fabriken in ein «Race to the bottom», bei dem jeder der attraktivste Zulieferer für die Auftraggeber sein möchte.
Die Konzerne im Westen waschen sich derweil die Hände in Unschuld und schmücken ihre Webseiten mit grossen Worten. Sie wissen aber sehr wohl, dass ihre Zuarbeiter:innen keinen Lohn erhalten, der zum Leben reicht. So wird die Verantwortung in der Lieferkette immer weiter geschoben und die ganze Last und das Risiko haben am Schluss die Schwächsten zu tragen: die Textilarbeiter:innen am Ende der Kette.
Da die Textilindustrie einen Grossteil ans Bruttoinlandsprodukt dieser Länder beiträgt, hat auch die Regierung begrenztes Interesse, die Mindestlöhne anzuheben oder die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Zudem fürchten sie, dass ein Anstieg der Kosten dazu führt, dass sich die grossen Auftraggeber abwenden und ihre Aufträge künftig in anderen Ländern mit tieferen Lohnkosten und weniger strengen arbeitsrechtlichen Vorschriften und weniger strengen Umweltschutzvorgaben vergeben.
Wir landen bei den Schlussfolgerungen immer wieder beim selben Thema: Wenn die Entwicklung weiter in Richtung immer schnellere Produktionen und immer mehr und günstigere Kleidung geht, kann sich in der Textilindustrie nichts ändern. Dieser ganze Zeit- und Kostendruck wird einfach weitergegeben und muss von den schwächsten Schultern getragen werden.
Um die Situation tatsächlich zu verbessern, müssen verschiedene Akteure am selben Strick ziehen:
Die Regierungen der betroffenen Länder und die Fabrikbesitzer müssen sicherstellen, dass sich die Arbeitnehmenden in Gewerkschaften organisieren können, ohne dass sie negative Konsequenzen befürchten müssen. Dann nämlich erhalten sie eine Stimme und können sich aktiv ins Thema einbringen.
Die grossen Auftraggeber müssen ihre Zulieferbetriebe regelmässig und umfassend überprüfen, um sicherzustellen, dass die arbeitsrechtlichen Standards nicht nur auf dem Papier erfüllt sind. Sie müssen zudem bereit sein, für die Einhaltung des internationalen Arbeitsrechts und einen existenzsichernden Lohn auch die nötigen Preise an ihre Zulieferer zu bezahlen. Und bei Nichteinhaltung entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Pro Kleidungsstück macht das meist nicht einen riesigen Betrag aus. Eine Recherche des Pro7-Magazins Galileo hat ausgerechnet, dass von einer Jeans, die in Deutschland für 20€ verkauft wird, gerade mal 80 Cent an die Lohnkosten aller beteiligten Arbeiter:innen gehen. Die allermeisten Konsumenten wären sicher bereit, einen leicht höheren Preis für eine faire Bezahlung in Kauf zu nehmen. Regelmässige Kontrollen, Investitionen in die Arbeitssicherheit und zum Beispiel in den Versicherungsschutz für die Arbeitnehmenden würden allerdings die Kosten zusätzlich erhöhen.
Da das Thema sehr viel mediale Aufmerksamkeit geniesst und fürs Image der Modekonzerne im Westen mit dem wachsenden Bewusstsein der Konsument:innen immer relevanter wird, engagieren sich einige Konzerne für die Anliegen der Textilarbeiter:innen. Das kann in Form von öffentlichen Bekenntnissen zum Existenzlohn sein, in Form von Audits und Kontrollen der Zulieferbetriebe und in der Schaffung von Transparenz – was aber leider auch hier manchmal vor allem auf dem Papier geschieht.
Wichtige Arbeit leisten in diesem Bereich NGOs wie Fair Wear Foundation, Fashion Revolution, Clean Clothes Campaign, das Bündnis für nachhaltige Textilien, Femnet, Human Rights Whatch, Public Eye und viele weitere. Sie sorgen dafür, dass Missstände sichtbar werden, denn das ist der erste Schritt zur Verbesserung.
Als Konsument:innen können wir auf Labels achten, die sich für diese Themen engagieren / die sich in diesem Bereich einsetzen. Zum Beispiel Fair Wear Foundation, Fairtrade, GOTS. Auch diese Labels garantieren im Moment nur die Zahlung eines Mindestlohnes, nicht eines existenzsichernden Lohnes. Aber sie stellen sicher, dass die zertifizierten Betriebe regelmässig überprüft werden. Je mehr Leute Kleidung aus solch durchgehend überprüften Lieferketten kaufen, desto mehr Gewicht erhalten diese Institutionen. Das macht es ihnen möglich, zusammen mit lokalen Organisationen und Gewerkschaften sowie anderen NGOs, wie zum Beispiel der Kampagne für saubere Kleidung (Clean Clothes Campaign) oder Public Eye, mehr Gewicht im Diskurs zum Thema gegenüber Konzernen und Regierungen zu haben. Um den Endkund:innen in der Forderung an die Unternehmen nach mehr Transparenz eine lautere Stimme zu geben, wurde der Hastag #whomademyclothes lanciert. Damit sollen Konzerne aufgefordert werden, Transparenz zu fördern und sich zu einer Verbesserung der nach wie vor schlechten Lage der Arbeiter:innen zu bekennen.
Hier gehts zu Teil 1: Kinderarbeit und moderne Sklaverei und Teil 2: Zu wenig Lohn zum Leben
Quellen und weiterführende Informationen:
- Der Preis der Kleidung sagt nichts über Arbeitsbedingungen aus (Interview bei RTL.de)